8. Das moderne Österreich
Aufbruch in die Moderne
Der wirtschaftliche Erfolg Österreichs zwischen 1945 und 1970 bedeutete: Viele Menschen zogen vom Land in die Städte. Österreich hat in der Zeit viele Flüchtlinge aufgenommen, unmittelbar nach Kriegsende, in der Ungarnkrise 1956 und nach dem Zusammenbruch der Reformbewegungen in der Tschechoslowakei 1968. Und immer mehr Arbeitskräfte kamen aus dem Ausland nach Österreich. Moderne Industrie- und Dienstleistungsbetriebe entstanden. Dies veränderte die Gesellschaft.
Österreich war im 19. Jahrhundert ein Einwanderungsland. In der Zwischenkriegszeit aber war es ein Auswanderungsland geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es wieder zu einem Einwanderungsland. Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte vielen Menschen den sozialen Aufstieg. Die Zahl der Angestellten, aber auch der Beamtinnen und Beamten wurde größer. Und damit wuchs bei vielen Menschen das Interesse an einem modernen und liberalen Österreich. So kam es ab den 1970er Jahren zu etlichen Reformen, die bis heute von Bedeutung sind. Viele dieser Reformen wurden in der Regierungszeit des Bundeskanzlers Bruno Kreisky (1970-1983) beschlossen.
In den 1970er Jahren endete allerdings die Zeit des hohen Wirtschaftswachstums („Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit). Die Eisen- und Stahlindustrie geriet in eine Krise. Die Arbeitslosigkeit stieg deutlich an. Damals begannen die Staatsschulden deutlich zu wachsen.
Welche Reformen veränderten Österreich?
In den 1960er und den 1970er Jahren wurden die höheren Schulen und Universitäten stark ausgebaut. Mehr Jugendliche und junge Erwachsene als zuvor konnten länger zur Schule gehen und studieren. Das wurde für mehr junge Menschen möglich, weil finanzielle Erleichterungen eingeführt wurden: Seit den 1960er Jahren gibt es staatliche Universitätsstipendien, seit den 1970er Jahren können Kinder und Jugendliche kostenlos in die Schule fahren („Schülerfreifahrt“) und müssen für Schulbücher nichts bezahlen.
Die Bildungsexpansion machte höhere Bildungsabschlüsse auch für jene Kinder möglich, deren Eltern selber keine höhere Bildung besaßen. Diese Kinder bekamen damit die Chance auf eine besser bezahlte Arbeit.
Das Familienrecht wurde reformiert. Frauen und Männer haben seither gleiche Rechte und Pflichten. Und verheiratete Männer sind nicht mehr das „Familienoberhaupt“. Vereinfacht wurde auch die Ehescheidung.
Außerdem wurde in den 1970er Jahren die Homosexualität legalisiert und bei Erwachsenen nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Seit 2010 haben homosexuelle Paare das Recht, ihre Partnerschaft einzutragen. Durch die eingetragene Partnerschaft haben homosexuelle Paare ähnliche Rechte und Pflichten wie Ehepaare. Seit 2019 ist auch eine Ehe für homosexuelle Paare in Österreich möglich.
Seit 1975 können männliche österreichische Staatsbürger anstelle des Wehrdienstes einen Wehrersatzdienst beziehungsweise Zivildienst leisten.
Erst in den 1980er Jahren hat Österreich begonnen, darüber zu sprechen, dass manche Bürger/innen sowie manche Firmen, Vereine und manche Einrichtungen des Staates in der Zeit des Nationalsozialismus (1938-1945) Täterinnen bzw. Täter waren. Die Anerkennung dieser Schuld hatte nach dem Jahr 2000 konkrete Folgen:
- Kunstwerke, die zur Zeit des Nationalsozialismus geraubt wurden, werden an ihre Besitzer/innen (oder an deren Erben/Erbinnen) zurückgegeben, sofern dies nicht schon nach 1945 geschehen war.
- Auch für Häuser und Grundstücke, die in der NS-Zeit geraubt worden waren, wurden, sofern diese nicht schon gleich nach 1945 rückgestellt worden waren, nachträgliche Rückstellungen vorgenommen.
- Für Familien, denen damals ihre Wohnungen geraubt worden waren, gab es Geld als Entschädigung.
- Eine Geldentschädigung bekamen nunmehr auch ehemalige Zwangsarbeiter/innen, die zur Zeit des Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Österreich ausgebeutet worden waren.
Wichtig war der weitere Ausbau der Sozialversicherungssysteme. Praktisch haben nunmehr fast alle Österreicher und Österreicherinnen eine staatliche Kranken- und Altersversicherung. Ab dem Jahr 2010 gibt es auch eine bedarfsorientierte Mindestsicherung. Um langfristig die soziale Sicherung zu gewährleisten, ist es angesichts der steigenden Lebenserwartung aber notwendig, auch das Pensionsalter anzupassen.